Maya Karin Arnold im Gespräch

Pflegefachfrau Maya Karin Arnold war fast zehn Jahre lang Mitglied des amm-Vorstands. Ein rückblickendes, aber auch grundsätzliches Gespräch zum Abschied.

 

 

Was hat Sie vor zehn Jahren bewogen, sich in der noch jungen Akademie Menschenmedizin zu engagieren?

 

Diese Frage ist leicht zu beantworten. Ich war bis 2013 Pflegefachfrau am Spital Affoltern, wo die Menschenmedizin unter der Leitung von Annina und Christian Hess in der Praxis umgesetzt und gelebt wurde. Ich habe dort sehr gern gearbeitet, vor allem wegen der interprofessionellen Zusammenarbeit in diversen Projekten und weil es dort Entfaltungsräume gab – sowohl für die Patient*innen als auch für die Angestellten –, die in Spitälern selten sind. Räume auch für die kreative Entfaltung, die wir als Menschen brauchen. Es gab jährlich Kunst- und Philosophiewochen für alle Mitarbeitenden wo miteinander an Werten und Haltungen geforscht wurde. Es war bei vielen Kolleg*innen viel Engagement spürbar und damit entstand ein besonderer Spirit, der im Team und im ganzen Betrieb spürbar war, ein Gefühl von «Wir wirken und bewegen zusammen und meine individuellen Kompetenzen auch jenseits meiner Rolle sind hier gefragt und wichtig». Es gab z.B. auch eine Musikformation aus Mitarbeitenden diverser Bereiche eigens für die Festtage – das mag auf den ersten Blick nicht das Wichtigste sein, aber ich bin überzeugt, es täte jedem Spital gut, wenn Mitarbeitende zusammen Musik machen! Nach der Zeit in Affoltern ging ich auf eine längere Reise und bildete mich in Asien und den USA in Shiatsu und Körperarbeit weiter. Daran anschliessend fragte mich die Akademie für ein Referat am ersten amm-Symposium an. Das habe ich gern gemacht, fand das Symposium sehr inspirierend und bin von da aus in den Vorstand «gerutscht».

 

Zehn Jahre sind eine kleine Ära. Was hat sich in dieser Zeit in Medizin und Gesundheitswesen verändert?

 

Die oben genannten Räume sind kaum noch vorhanden. Dabei brauchen die in den Gesundheitsberufen tätigen sie, um Dinge zu verarbeiten, zu reflektieren, zu fragen: Was machen wir hier eigentlich und warum? Räume auch, um kreativ zu werden, zu fragen: Wie könnten wir es noch besser machen? Nicht, dass das ganz neue Themen wären, aber ich habe den Eindruck, gewisse betriebswirtschaftlichen Logiken werden im Alltag gar nicht mehr infrage gestellt – eben weil Raum und Zeit für ein Innehalten, Reflektieren und Hinterfragen fehlt. Ein Beispiel aus meinem Beruf: Mütter die durch die Geburt viel Blut verlieren und eine Eiseninfusion benötigen bekommen diese – fürs Spital vorteilhaft – erst wenn sie nicht mehr stationär sind. Das heisst, wenn sie kreislaufstabil sind gehen sie erst nach Hause, um ein paar Tage später im Ambulatorium sich wieder vorzustellen für die Infusion. Macht eigentlich überhaupt keinen Sinn für die Mutter und das Baby in den sensiblen ersten 2 Wochen nach der Geburt. Die Infusion könnte unkompliziert direkt nach der Geburt gegeben werden, das Spital verdient dann jedoch nichts daran. Wir Leute von der Basis müssen aufpassen, dass wir uns nicht an Abläufe und Handlungen gewöhnen, welche eher betriebswirtschaftlich Vorteile bringen statt dem Menschen und seinem Heilungsprozess dienen.

 

Wie blicken Sie auf die Zeit im amm-Vorstand zurück?

 

Ich habe mich vor allem in der Arbeitsgruppe «Condition humaine» engagiert. Für mich ist das ein zentrales Anliegen: dass Menschen ganzheitlich als Menschen gesehen und behandelt werden – und das betrifft im Gesundheitswesen nicht nur die Patient*innen, sondern auch die Berufstätigen.

 

Ich bin in der amm und durch meine Vorstandstätigkeit vielen interessanten, reflektierten und lebenserfahrenen Menschen begegnet. Die Gespräche und Projekte mit ihnen haben mich inspiriert und bereichert und mir immer wieder Antrieb, Energie und Kraft gegeben für meine eigenen Aufgaben. Die Grundsatzfragen, mit denen sich die amm auseinandersetzt, sind ja keine Dinge, bei denen man in zehn Minuten zu einer abschliessenden Erkenntnis kommt, sondern Themen, bei denen man erst durch das kontinuierliche Dranbleiben und Weiterwälzen vorwärtskommt. 

 

Bewegt hätte ich gern noch viel mehr und Grösseres,  aber ich denke doch, dass es ein wichtiger Erfolg ist, dass sich die amm als unabhängige Stimme etabliert hat, die im Gesundheitswesen gehört und ernst genommen wird und den Finger auf ebensolche Dinge halten kann, die sonst gar nicht mehr hinterfragt werden.

 

Was möchten Sie der amm für die Zukunft mitgeben?

 

Zum einen, dass mit dem anstehenden Generationenwechsel der besondere Spirit der amm weiterlebt. Annina Hess ist eine aussergewöhnliche Persönlichkeit, mit der ich sehr gern zusammengearbeitet habe: Mit ihrer klaren, kritischen und offenen Art geht sie stets vorwärts und versprüht gleichzeitig eine künstlerische, anpackende Energie, die einen empowert, Dinge umzusetzen und dranzubleiben. So hat sie die amm stark geprägt und ich wünsche der amm, dass dieser Geist erhalten bleibt, wenn andere das Steuer übernehmen.

 

Zweitens wünsche ich der amm, dass sich mehr jüngere Leute aus dem Berufsleben aktiv einbringen. Es ist völlig klar, dass viele mit dem immer enger getakteten Alltag in unserem Sektor – eben die erwähnten fehlenden Räume! – am Abend nicht mehr die Kraft für ein solches Engagement verspüren. Aber der Austausch darüber, was wir in und um die Medizin eigentlich tun und warum, hat mir auch immer enorm viel zurückgegeben. Zusammen können wir viel bewegen! Ich kann es nur empfehlen – und ich kann mir auch vorstellen, weiter in amm-Arbeitsgruppen mitzuwirken.

 

Und drittens, dass die amm weiterhin viele Berufstätige, Patient*innen und Institutionen ermutigen kann, sich einzusetzen für das Gesunde, Kompetente und Herzliche in der Medizin. 

 

 

 

Das Gespräch führte Stephan Bader.

 

Über Maya Karin Arnold

Maya Karin Arnold, Mitglied des amm-Vorstands von 2012 bis 2022, ist Dipl. Pflegefachfrau HF. Sie ist in einem kleinen Spital und selbständig in der nachgeburtlichen Betreuung von Müttern und ihren Neugeborenen sowie als Shiatsu-Therapeutin tätig.