1. Was hat Sie bewogen, sich bei der amm zu engagieren?
Neugier und Sinnhaftigkeit. Tatsächlich bin ich schon seit einigen Jahren auf die Akademie
Menschenmedizin aufmerksam geworden, weil mir die amm-Mitglieder immer wieder durch
ihr pointiertes Engagement für ein menschengerechtes Gesundheitswesen auffielen. Viele amm-Themen, wie beispielsweise eine ganzheitliche Sicht auf Leben und Sterben, die persönliche
Entscheidungsfindung bei Behandlungen, eine solidarische Gesundheitsversorgung haben mich bis
heute in meiner Arbeit als Arzt stark geprägt. Diese Themen sollten aber zweifellos mehr in den
Vordergrund der Öffentlichkeit kommen, da wir sonst die vielen offenen Fragen im heutigen
Gesundheitswesen nicht nachhaltig beantworten können. Ich hoffe, einen kleinen Beitrag
für eine solche menschengerechtere Medizin leisten zu können.
2. Welcher Aspekt der Menschenmedizin ist Ihnen besonders wichtig / In welchem Bereich sehen Sie besonders dringenden Handlungsbedarf?
Die Corona-Pandemie, die auch eine Art Stresstest für das Gesundheitswesen war, zeigte den
Entwicklungsbedarf gerade auch bei Themen, welche die amm vertritt. Nur über eine enge,
verbindende Kommunikation kann man Dilemmas wie sie beispielsweise bei Massnahmen in Alters-
und Pflegeheimen oder rund um das Impfen entstanden, gemeinsam lösen. Wir müssen also weiter
den nachhaltigen, menschengerechten Themen in der Medizin eine Stimme geben und so mithelfen,
dass sich die Kommunikation zwischen den Fachwelten und den Patienten*innen stetig verbessert.
3. Wenn Sie darüber entscheiden könnten: Welche konkrete Änderung/Massnahme würden Sie am Gesundheitswesen in der Schweiz vornehmen und warum?
Wir stehen im Moment mitten in einer Zeit des Umbruchs nicht nur im Gesundheitswesen. Ich würde
mir wünschen, dass wir zukünftig die anstehenden Aufgaben wie Kostenkontrolle im
Gesundheitswesen, Digitalisierung, menschengerechtere Medizin usw. partizipativer angehen.
Leider startet man häufig nicht einmal den Versuch, dies zu tun, und so verharren alle
Interessengruppen in ihren Positionen. Bekanntlich sind Positionen kaum verhandelbar. Bedürfnisse
über ein gegenseitiges Verständnis hingegen schon.
Entsprechend hätte man beispielsweise die laufende Aufarbeitung der Corona-Pandemie nutzen
können, einen solchen breiten partizipativen Prozess zu starten. Die vielen Einzelberichte, die
gerade veröffentlicht werden, zeigen, dass dies wohl bei Corona Utopie bleiben wird. Das schweizerische Gesundheitswesen könnte solche partizipativen Prozesse aber im Moment auch bei
vielen anderen Themen gut gebrauchen. Bleiben wir dran.
Hinweis: Das Interview wurde 2022 nach Steffens Wahl in den amm-Beirat geführt.
Fragen: Stephan Bader
Dr. med. Thomas Steffen ist Facharzt für Prävention und Public Health. Er ist Präsident der Stiftung Patientensicherheit Schweiz.
Video-Bericht zur Tätigkeit im Jahr 2022 von Dr. Thomas Steffen