Drei Fragen an amm-Beirätin Tanja Krones

Prof. Dr. Tanja Krones ist Professorin für Klinische Ethik am Universitätsspital und am Institut für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte der Universität Zürich.

1. Sie sind neu im Beirat der amm. Was hat Sie bewogen, diese Aufgabe zu übernehmen?

 

Ich habe die Akademie für Menschenmedizin als Organisation und die dort engagierten

Fachpersonen aus verschiedenen Zusammenhängen kennen- und schätzen gelernt. Es war

eine gemeinsame sehr komplexe Patient*innensituation, in welcher ich Annina Hess-Cabalzar

das erste Mal begegnet bin und sie als kreativ und menschenzentiert denkende und handelnde

Persönlichkeit erlebt habe. Mit mehreren Mitgliedern des Vorstands habe ich zu

verschiedenen medizinethisch relevanten Fragen in der Vergangenheit zusammengearbeitet

und kenne einige Kolleg:innen, die sich dort z.B. im amm Café med organisieren. Die amm-Themen sind zum grossen Teil eben auch medizinethisch relevante Themen, so dass die

inhaltliche Nähe zu vielen Fragestellungen gegeben ist. Durch die Zusammenarbeit der amm

im Sounding Board des Universitätsspitals Zürich, in welchem ich auch Einsitz habe, haben

wir nun auch zu organisationsethischen Fragen direkt Kontakt.

 

 

2. Welcher Aspekt der Menschenmedizin ist Ihnen besonders wichtig / In welchem Bereich

sehen Sie besonders dringenden Handlungsbedarf?

 

Tatsächlich ist die amm in Bezug auf viele relevante Aspekte am «Puls der Zeit», und setzt

sich für die Realisierung von Patient*innenautonomie als Förderung der gemeinsamen

Entscheidungsfindung, Gerechtigkeit und das Nicht-Schadensprinzip im Sinne einer

Reduktion von Über- unter und Fehlversorgung ein. Es braucht dazu einen individual- wie

systemethischen Ansatz, der evidenzbasierte und wertebasierte Konzepte in die Praxis

umsetzt. Die Mithilfe bei der Implementierung einer echten gemeinsamen

Entscheidungsfindung (engl. shared decision making) für aktuelle und zukünftige

Behandlungen, auch für mögliche Situationen der Urteilsunfähigkeit («gesundheitliche

Vorausplanung», engl. Advance Care Planning) für alle Mitglieder der Gesellschaft erscheint

mit deswegen so zentral, weil dies auch Gerechtigkeitsfragen adressiert. Menschen wollen

nicht über- oder fehlversorgt werden, und werden befähigt, so zu entscheiden, wie Ärzt*innen

das auch im Schnitt tun, wenn sie selbst schwer erkranken: zum Beispiel am Ende des Lebens

weniger invasiv-lebensverlängernden Massnahmen in Anspruch zu nehmen und zuhause oder

ausserhalb des Spitals betreut zu werden. So kann sich eine win-win Situation ergeben.

Menschen bekommen eine Medizin, die weniger teuer ist und ihren wohlerwogenen Präferenzen entspricht.

 

3. Wenn Sie darüber entscheiden könnten: Welche konkrete Änderung würden

Sie am Gesundheitswesen in der Schweiz vornehmen und warum?

 

Es ergibt sich vielleicht aus dem vorher Gesagten: Ich würde die Qualifizierung und

Vergütung von Gesprächen mit Patient*innen in den Fokus nehmen. Wenn Fachpersonen im

Gesundheitswesen sich in spezifischen kommunikativen Fertigkeiten weiterqualifizieren, und

zum Beispiel statt einer minimalen informierten Zustimmung eine gemeinsame

Entscheidungsfindung zur Klärung von Therapiezielen durchführen, oder statt einen Stempel

auf eine Kreuzchen-Patientenverfügung zu setzen eine gesundheitliche Vorausplanung

anbieten, sollte dies speziell und so vergütet werden, dass in den vielen klinischen

Situationen, in denen eine Intervention oder Medikation nicht eindeutig der Weg mit dem

Besten Risiko-/Nutzenverhältnis ist, das Gehalt nicht primär von der Durchführung eines

Eingriffs oder der Verschreibung und dem Verkauf des Medikaments oder der Durchführung

des Screenings oder der Diagnostik abhängt, sondern von der Qualität des Entscheidungs- und

 Begleitungsprozesses.